07.01.2022

Zusammenfassung des aktuellen Entscheids des Bundesgerichts zur Rückstufung einer Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung (BGer 2C_667/2020 vom 19. Oktober 2021).

Die Niederlassungsbewilligung von A., einem Kosovaren der seit 1992 in der Schweiz lebt, wurde vom Migrationsamt Aargau auf eine Aufenthaltsbewilligung zurückgestuft, weil er aufgrund von Straffälligkeit ein Integrationsdefizit aufweise. Zwischen 2005 und 2018 wurde er wiederholt straffällig wegen Strassenverkehrsdelikten (u.a. Fahren in angetrunkenem Zustand, grobe Verkehrsregelverletzung). 2013 hatte er zudem ca. 120 kg Haschisch in die Schweiz eingeführt. Die letzte Verurteilung datiert aus dem Jahre 2018 und betrifft einen Verstoss gegen das Gewässerschutzgesetz.  Seit dem 01. Januar 2019 kann gemäss Art. 63 Abs.2 AIG eine Niederlassungsbewilligung C widerrufen und durch eine Aufenthaltsbewilligung B ersetzt werden, wenn die Integrationskriterien nicht mehr erfüllt sind. Die Integrationskriterien sind in Art. 58a AIG geregelt und umfassen:
 

  • die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 

  • die Respektierung der Werte der Bundesverfassung 

  • Sprachkompetenzen

  • die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung.


Mit «Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung» ist insbesondere gemeint, dass man sich an die Gesetze hält. Eine Gesetzesverletzung im Kontext der Integrationskriterien besteht meist in einem Verstoss gegen das Strafgesetzbuch, das Betäubungsmittelgesetz oder das Strassenverkehrsgesetz.  Im Fall von A. erkannte das Migrationsamt des Kantons Aargau ein Integrationsdefizit wegen Straffälligkeit und stufte die Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung zurück.   Das Bundesgericht heisst die Beschwerde von A. vollumfänglich gut, hebt die Rückstufung auf und verwarnt ihn. Als Begründung führt das Bundesgericht an, dass bei A. kein aktuelles Integrationsdefizit festgestellt werden kann, da die letzte Verurteilung aus dem Jahr 2018 datiert. Da die letzte Verurteilung somit aus der Zeit vor Inkrafttreten der Rückstufungsbestimmung im AIG stammt, fehlt es an der Aktualität des Integrationsdefizits.

Zwar darf man sich bei der Prüfung einer Rückstufung auch auf Sachverhalte (z.B. eine Verurteilung) beziehen, die vor dem 1. Januar 2019 stattgefunden haben, jedoch muss eine Rückstufung immer an ein aktuelles Integrationsdefizit anknüpfen und alte Sachverhalte dürfen nur mit einbezogen werden, um die aktuelle Situation umfassend zu klären. Folglich fallen die Verstösse zwischen 2005 und 2018 nicht ins Gewicht – auch wenn die Verstösse zahlreich sind uns es sich nicht nur um Bagatelldelikte gehandelt hat – weil A. sich nach 2018 nichts zu Schulden hat kommen lassen. Überdies muss eine Rückstufung, wie jegliches staatliches Handeln, verhältnismässig und für die betroffene Person zumutbar sein. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit betrachtet das Bundesgericht die Anwesenheitsdauer in der Schweiz, die familiäre Situation sowie die anderen Integrationskriterien. Das Bundesgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer seit 28 Jahren in der Schweiz lebt und seine Kinder das Schweizer Bürgerrecht besitzen. Ausserdem sei er wirtschaftlich gut integriert und es wurde nicht geltend gemacht, dass er mangelhafte Sprachkenntnisse habe oder dass er die Werte der Bundesverfassung nicht angemessen respektieren würde. Eine Rückstufung der Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung sei darum nicht verhältnismässig.  Das Bundesgericht hat sich weiter noch zu verschiedenen weiteren Fragen im Zusammenhang mit Rückstufungen befasst:  Die Rückstufung gemäss Art. 63 Abs. 2 AIG erfüllt eine präventive Funktion Wenn die Voraussetzungen eines Widerrufs der Niederlassungsbewilligung mit Wegweisung erfüllt sind, darf die Rückstufung nicht als mildere Massnahme angeordnet werden.  Aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips muss die Rückstufung gegebenenfalls zunächst mit einer Verwarnung angedroht werden. Eine Rückstufung aufgrund von Straffälligkeit, für die jedoch keine Landesverweisung angeordnet wurde, steht nicht im Widerspruch zum Dualismusverbot nach Art.63 Abs. 3 AIG, da die Rückstufung keine Wegweisung nach sich zieht.  

Fazit:  Das vorliegende Urteil zeigt, dass das Bundesgericht nicht leichtfertig die Rückstufung einer C-Bewilligung auf eine B-Bewilligung bestätigt. Offen ist aber, wie das Bundesgericht in einem Fall entscheiden würde, in dem eine Person ein Delikt nach dem 1. Januar 2019 begangen hat. Es ist fraglich welche Delikte und welche Häufigkeit ein Integrationsdefizit darstellen. Auch bei der Verhältnismässigkeitsprüfung werden künftige Urteile noch genauer zeigen, wann eine Rückstufung unverhältnismässig ist und wann nicht.  

Autor: Jan Reichardt, BLaw