21.07.2022

«Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Verstehen Sie diese Rechte?»
 

Wer kennt ihn nicht, diesen Standardsatz, der von jedem Polizisten in jedem Krimi bei jeder Verhaftung artig aufgesagt wird, während dem Beschuldigten routiniert die Handschellen angelegt werden und er danach auf dem Rücksitz des Polizeiautos auf den nächsten Posten verbracht wird?
 

Zwar werden die sogenannten Miranda-Rechte in dieser standardisierten Form vor allem in den USA verwendet, die darin enthaltenen Rechte gelten jedoch auch in der Schweiz. Auch hier hat die beschuldigte Person das Recht, seine Aussage zu verweigern. Aber warum eigentlich? Die beschuldigte Person darf ihre Aussage zwar verweigern, aber soll sie dies auch tun? 
 

Während eines Strafverfahrens wird die Polizei und/oder die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person zu den ihr vorgeworfenen Straftaten befragen. In der ersten Einvernahme muss die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Person mitteilen, dass ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet wurde und aufgrund welcher Straftaten gegen die Person ermittelt wird. Ausserdem muss die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person darauf hinweisen, dass sie die Aussage und die Mitwirkung verweigern darf, eine Anwältin oder einen Anwalt beiziehen und eine Übersetzerin oder einen Übersetzer verlangen kann. Weisen Polizei oder Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person nicht auf ihre Rechte hin, darf die Einvernahme nicht verwertet werden.
 

Im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass keine Person sich selbst belasten muss. Das heisst, dass die beschuldigte Personen keine Aussagen machen und auch keine Beweisstücke herausgeben muss.  

Soll ich als beschuldigte Person nun also Aussagen machen oder soll ich nichts sagen? Dies kann pauschal nicht beantwortet werden. Generell sollten folgende Punkte beachtet werden: 
 

  • Einvernahmen werden protokolliert. Alles, was an einer Einvernahme gesagt wird, wird sich darum in den Akten befinden und kann gegebenenfalls vor Gericht verwendet werden. Man  sollte also nichts sagen, was man später bereuen könnte und widerrufen möchte. Bei der Durchsicht des Protokolls nach der Einvernahme ist zu kontrollieren, ob das Protokoll inhaltliche Fehler hat. Korrekturen sind unbedingt vor Ort anzubringen. Bestehen Sie darauf, dass die Korrekturen protokolliert werden! 

 

  • Wer Aussagen vor der Polizei oder der Staatsanwalt macht, sollte sich nur zu den Straftaten äussern, die ihm vorgeworfen werden. Ansonsten riskiert man, dass man Straftaten gesteht, von denen die Ermittlungsbehörden gar nicht gewusst haben. Es ist darum zentral, dass man weiss, wie die Vorwürfe lauten. Wenn man von den Ermittlungsbehörden zu einer Einvernahme vorgeladen wird, kann es darum schon nur deshalb von Vorteil sein, der Vorladung Folge zu leisten, um zu erfahren, aufgrund welcher mutmasslichen Straftaten die Polizei ermittelt. Wer der Vorladung nicht Folge leistet, kann zudem polizeilich vorgeführt werden.  

 

  • Wer ein Geständnis ablegt, darf bei einer Verurteilung durch das Gericht einen gewisse Reduktion der Strafe erwarten. Wer aber ein Geständnis ablegt, riskiert unter Umständen, dass er für eine Straftat verurteilt wird, die ohne das Geständnis gar nicht hätte bewiesen werden können. Folglich ist ein Geständnis eher dann zu empfehlen, wenn die Beweislage ohnehin erdrückend ist.  

 

  • Keinen Strafrabatt erhält, wer lügt (und dabei ertappt wird) oder wer während des ganzen Verfahrens keine Aussage macht. Wer lügt oder konsequent die Aussage verweigert riskiert unter Umständen auch, dass die Untersuchungshaft angeordnet oder verlängert wird, weil eine Flucht- oder Vertuschungsgefahr bestehen könnte. 


Ob vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht werden soll oder ob es klüger ist, Aussagen zu machen, ist also im Einzelfall zu beurteilen. Deshalb ist es ratsam, eine Strafverteidiger: in beizuziehen, denn es besteht die Gefahr, dass beschuldigte Personen sich unnötigerweise selber belasten, oder aber dass die Chance auf einen substanziellen Geständnisrabatt verspielt wird. Strafverteidiger: innen sind geübt in Verhörsituationen und können nach Einsicht in die Ermittlungsakten gut abschätzen, wie die Beweislage für Polizei und Staatsanwaltschaft ist.
 

Die Teilnahme an der Einvernahme ist empfehlenswert, um herauszufinden, welche Straftaten überhaupt im Raum stehen.  Wenn die Einvernahme ohne anwaltliche Vertretung bestritten wird, ist es in der Regel aber zu empfehlen, die Aussage zu verweigern, um sich nicht unnötig selbst zu belasten. Wichtig ist dabei, dass man die Aussage während der ganzen Einvernahme konsequent verweigert und nicht plötzlich in der Hälfte der Einvernahme damit beginnt, Antworten zu geben. Konsequent zu schweigen ist schwieriger, als man denkt! 
 

Fazit: «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» gilt bei der ersten Einvernahme in einer Ermittlung. Bei weiteren Einvernahmen könnte sich das Sprichwort aber umkehren. Im Zweifel ist eine Beratung durch eine Strafverteidiger: in zu empfehlen.   


Autor: Jan Reichardt, BLaw